Freiraum: Gewaltschutzräume für Männer
Der Ausbau der Schutzwohnungen für männliche Opfer häuslicher Gewalt geht voran: Der SKM hat Anfang 2022 acht neue Plätze eingerichtet, vier im Raum Aachen und vier im Raum Münster. Weitere acht Gewaltschutzräume bestehen seit 2020 bereits bei den SKMs in Düsseldorf und Köln. Seitdem sind insgesamt sechs der zwölf Gewaltschutzhäuser für Männer in Deutschland in katholischer Trägerschaft. SKM-Generalsekretär Stephan Buttgereit erzählt, warum wir diese Schutzräume dringend brauchen.
Herr Buttgereit, warum braucht es Gewaltschutzräume für Männer in Deutschland?
Stephan Buttgereit: Die Polizeistatistik des Bundeskriminalamtes von 2020 zeigt, dass inzwischen rund 20,9 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt männlich sind. Für die 80 Prozent betroffenen weiblichen Opfer halten wir Frauenhäuser vor – es ist richtig, dass es ähnliche Angebote auch für Männer gibt.
Welche Männer nehmen dieses Angebot wahr?
Es sind Männer aus verschiedenen Milieus; sie haben ganz unterschiedliche Nationalitäten und Beweggründe. Einige Männer flüchten vor Gewalt in Beziehungen oder vor familiärem Druck. Einige drohen Opfer einer Zwangsheirat zu werden. Für diese Männer gab es bislang keine Schutzräume.
Welches Konzept steckt hinter den Schutzräumen des SKM?
Analog zu den Frauenhäusern: Wir wollen die Männer und gegebenenfalls ihre Kinder zunächst aus der akuten Gewaltsituationen herausholen. Im zweiten Schritt arbeiten die Berater und Beraterinnen mit den Männern daran, aus der Angststarre nach der erlittenen Gewalt wieder ins Handeln zu kommen. Unsere meist männlichen Sozialarbeiter unterstützen und begleiten die Männer in dem gesamten Prozess vom Ankommen bei uns bis hin zur Verselbstständigung.
Wie muss ich mir so eine Wohnung vorstellen?
Die Gewaltschutzräume sind im besten Sinne normale Wohnungen, die eine Grundausstattung mit Küche, Schlafzimmer und Badezimmer haben. Dort, wo wir Plätze für Kinder vorhalten, natürlich auch mit Räumlichkeiten für die Kinder. Die Wohnungen sind mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar. Sie bleiben anonym, damit die Männer vor Nachstellungen durch Täter oder Täterinnen geschützt sind.
Wie finden die betroffenen Männer das Angebot des SKM?
Männer finden die Gewaltschutzräume im Internet, wenn sie zum Beispiel „Gewaltschutzwohnung für Männer“ in die Suchmaschine eingeben. Oder sie finden Hilfe auf der Seite des Gleichstellungsministeriums in NRW sowie auf der Website des SKM. Die Plätze, die wir in NRW vorhalten, können Männer aus ganz Deutschland wahrnehmen, nicht nur die, die in NRW leben. Wir arbeiten als Bundesverband zudem daran, dass über die Schutzwohnungen und das Thema häusliche Gewalt gegen Männer in den Medien berichtet wird – nach wie vor Tabuthemen. Das Medienecho ist groß, es berichteten zum Beispiel der WDR und die Rheinische Post.
Ein Mann ruft beim SKM an, weil er Opfer von häuslicher Gewalt wird. Was passiert dann?
Ein ausgebildeter Krisen- und Männerberater nimmt schnell Kontakt mit dem betroffenen Mann auf. Bei einem Termin sondieren sie gemeinsam die Lage: Passt der Mann mit seiner Problemlage in die Struktur und das Konzept der Gewaltschutzwohnungen? Wenn ja, wird er aufgenommen. Wenn nein, schauen wir, wie dem Mann in der Krise und in Not anderweitig geholfen werden kann – zum Beispiel in der Krisenberatung, die SKMs an vielen Orten in Deutschland anbieten. Die Unterbringung in der Wohnung ist auf rund drei Monate angelegt. In der Zeit werden die Männer von unseren zumeist männlichen Sozialarbeitern begleitet.
Was kommt nach der Zeit in der Schutzwohnung?
Die Männer haben die Möglichkeit sich in unseren Beratungsstellen beraten und begleiten zu lassen oder sich Unterstützung zu holen. So kann der Prozess, den der Mann in unserer Gewaltschutzwohnung begonnen hat, erfolgreich weitergeführt werden. Das hängt ganz von den Bedarfen ab, die der Mann hat.
Es handelt sich dabei um ein rund dreijähriges Modellprojekt, gefördert durch das Ministerium für Gleichstellung des Landes NRW. Wie geht es nach Ablauf des Modellprojekts weiter?
Wir haben uns gemeinsam mit dem Ministerium auf den Weg gemacht, um zu schauen, ob und welche Bedarfe es gibt. Wir erörtern gemeinsam mit dem Ministerium, ob unser Konzept die richtige Form für von häuslicher Gewalt betroffene Männer ist. Wenn deutlich wird – und das sieht ganz danach aus –, dass es diesen Bedarf tatsächlich gibt, habe ich Frau Ministerin Scharrenbach so erlebt, dass sie offen ist, mit uns und mit den Akteur*innen in der Wohlfahrtspflege zu schauen, welche Hilfsangebote es für Männer weiterhin geben muss. Wir sind erst am Anfang. Aktuell wird das Angebot von Männern genutzt: die Wohnungen sind seit Eröffnung komplett belegt. Das freut uns einerseits, anderseits belastet das natürlich, weil der vermutete Bedarf sich jetzt tatsächlich einstellt und wir gesellschaftlich drauf reagieren müssen: Wir können jetzt die Augen nicht mehr davor schließen, dass auch Männer häufig Opfer häuslicher Gewalt werden – und, dass diesen Männern genauso wie den Frauen Hilfsangebote zur Seite gestellt werden müssen.
Ist der Bundesverband aktuell mit seinen Mitgliedsvereinen jenseits von NRW im Gespräch für weitere Gewaltschutzräume für Männer?
Auf jeden Fall. Mit den bereits bestehenden Konzepten der SKMs haben wir die Grundsteine gelegt, die unsere Mitgliedsvereine nutzen können. Auf der Webseite echte-männer-reden.de haben wir alle unsere Männer-, Väter-, Krisen- und Gewaltberatungsstellen aufgeführt. Alle dort genannten Träger sind in der Lage, das Konzept einer Gewaltschutzwohnung umzusetzen. Wir sind mit unseren Trägern im SKM und der verbandlichen Caritas im Gespräch: Sie halten sich bereit, wenn in den jeweiligen Bundesländern Interesse an Gewaltschutzwohnungen für Männer aufkommt. Einige Träger überlegen sogar, selbst proaktiv bei ihren Landesregierungen Anträge auf solche Modellprojekte zu initiieren.
Wie arbeitet der SKM bundesweit am Thema Gewaltschutz für Männer?
Der SKM ist Mitglied im Bundesforum Männer. Es dient uns als Multiplikator auf Bundesebene. Auch über die Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz sind wir gut vernetzt, um die Erfahrungen, die wir in den Gewaltschutzwohnungen machen, deutschlandweit konstruktiv weiterzuentwickeln.
In welcher Form ist der SKM im Gespräch mit den Interessenvertretungen von Frauen, die Träger von Frauenhäusern sind?
Die Notlagen von weiblichen und männlichen Opfern dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Daran haben wir ein großes Interesse. Es darf nur gleiche Standards in Ausstattung und Personal geben – egal ob die Opfer männlich oder weiblich sind. Wir sind zum Beispiel mit unserem Schwesterverband SkF in vielen Geschlechterfragen in einem kontinuierlichen Austausch – das Thema Gewaltschutzwohnen gehört dazu.
Interview: Constanze Frowein