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oder: sich wieder wie sich selbst fühlen

Leben kann so einfach sein…

Ich fühle mich wieder „wie ich selbst“. Mir ist bewusst, dass „sich wie Rüdiger fühlen“ weder ein Gefühl noch eine nachfühlbare Beschreibung ist, was dies bedeutet. Aber nach einem irgendwie sehr langen und ereignisreichen Jahr bringt es alles doch irgendwie auf den Punkt.
Im Mai letzten Jahres ist mein Vater gestorben. Dies war für mich eines der eindrücklichsten Erlebnisse meines Lebens und eine Krise, die ich sehr bewusst wahrgenommen habe. Eine Krise in Hochform. So oder so; wenn jemand stirbt, den man geliebt hat, ändert sich das Leben für immer. Das glaube ich zumindest. Auch deshalb, weil Tod und Leben unweigerlich eng miteinander verknüpft sind und sich so irgendwie gegenseitig begründen. So habe ich, als sich die erste tiefe Trauer über den Tod legte, angefangen über mein Leben nachzudenken. Wo ich stehe, was ich möchte, was ich erlebt habe und was mir Sorgen macht. Neben all den emotionalen Höhen und Tiefen dieser Zeit gab es stets einen neugierigen Teil von mir, der diesen ganzen Prozess beobachtet hat.
Ich erinnere mich noch eindrücklich an zwei Gefühlsgemengen als ich vom Tod meines Vaters erfuhr. Zum einen der Schreck und die folgende Traurigkeit verbunden mit der Gewissheit, dass nun die lange unterschwellige Sorge, dass meine Eltern eines Tages einmal sterben werden, tatsächlich real geworden ist und ab jetzt irgendwie alles anders ist. Zum anderen spürte ich eine gewisse Erleichterung. Ich war erleichtert, dass ich die wichtigen Fragen, die die Beziehung zwischen meinem Vater und mir betrafen, schon vor langer Zeit mit ihm geklärt hatte. Und damit einher ging eine große Dankbarkeit.
Jetzt ist etwa ein Jahr vergangen und alles hat im Jahresrhythmus nun einmal ohne ihn stattgefunden. Familiengeburtstage, sein Geburtstag, Weihnachten und viele Treffen, wo er einfach fehlte und ich ihn vermisst habe.
Und irgendwie geht das Leben weiter. Als ich vor fast einem Jahr die Idee hatte, dass ich auf persönliche Art in darüber berichten will, was ich im Kontext der Jungen- und Männerarbeit beim SKM Bundesverband erlebe, hatte ich nicht damit gerechnet, wie persönlich ich mich nun plötzlich intensiv mit einem zentralen Männerthema auseinandersetzen muss: Der Beziehung zwischen Vater und Sohn.
Dazu kommen Traurigkeit und Abschied und weitere intensive Gefühlslagen, von denen ich glaube, dass es für Jungen und Männer nicht immer einfach ist einen guten Umgang damit zu finden. Und wie kann ich nach dem ersten Schock wieder in meine Arbeit reinfinden und mich mit Männerthemen befassen, wo ich doch selbst gerade massiv mit mir und so einem Thema befasst bin? Wie kann ich die gewohnte „Leistung“ abrufen, wo ich doch emotional an so vielen anderen Stellen beschäftigt bin. Und die dramatischste Sache hier ist eben. Es geht nicht um die Männer an sich oder einen Diskurs, was Männlichkeit ist. Mein Papa ist gestorben und ICH muss damit irgendwie klarkommen.
Diese Gedanken haben immer wieder mein Denken und Handeln im letzten Jahr bestimmt. Ich sage heute selbstbewusst, dass ich diese Zeit soweit man das sagen kann, recht achtsam für mich gestaltet habe. Was jedoch unheimlich viel Kraft gekostet hat, waren die ständigen Zweifel, die mich das ganze letzte Jahr in einem Ausmaß begleitet haben, wie ich es noch nicht kannte. Während ich mit der Traurigkeit und dem Abschied einen ganz guten Umgang gefunden habe, so machte sich an anderer Stelle eine große Ungeduld breit, die ich nicht zu packen bekam. Als Beispiel hierfür steht auch dieser Blog hier. Weihnachten schaffte ich es nach langem Ringen mit mir endlich eine Beitrag online zu stellen. Treffend ging es hier um meine Gesundheit, mit der ich mich nach Papas Tod viel auseinandergesetzt hatte. Und ich wollte auch mir selbst sagen: „Junge, du bist gesund! Körperlich und auch seelisch geht’s doch schon wieder“. Ja, es ging. Nicht mehr und nicht weniger. So also nun die Entscheidung: Trauerarbeit vorbei, alles wie früher, neues Jahr neues Glück. Das hätte ich gerne so gehabt. Und ich habe es auch versucht. Gelandet bin ich immer wieder bei den Zweifeln. Die Arbeit klappte nicht so, wie ich sie mir vorstellte und ich ertappte mich immer wieder dabei, dass ich gedanklich und emotional ganz woanders zugange war. Ohne es packen zu können. Und das hat mir immer wieder zugesetzt. Eben nicht zu wissen, wo es für mich weitergeht. So saß ich auf der Couch und grübelte: Soll ich mich nun nochmal intensiv zurückziehen und mir Zeit für mich und meine Trauer nehmen oder war es vielleicht besser, ins „Leben zurückzukehren“ und zu versuchen so viel Alltag wie möglich wieder herzustellen. Während diese beiden Kräfte mit sich rangen, war dies auch gleichzeitig mein größtes Problem. Denn egal für welche Option ich mich entschied, so blieb im Rückblick oft der schale Eindruck eben doch die falsche Entscheidung getroffen zu haben. So war ich in meinem Kopf gefangen und das Leben zog an mir vorbei. Und immer wieder plagte mich das schlechte Gewissen. Den vielfältigen Aufgaben des Lebens nicht mehr gewachsen zu sein. Eben nicht „stark“ genug zu sein. Tja, die starken Männer.
Geholfen hat am Ende zweierlei: Menschen, die mich lieben und all das mit mir ausgehalten haben und GEDULD. Geduld mit mir selbst und die Erkenntnis, dass alle Gefühle, Lähmungen und vermeintlichen Zweifel notwendig sind (auch wenn sicher oft nicht klar ist, wofür genau), um die alte Lebensenergie und Kraft wiederzufinden.
Manchmal brauchen wir etwas Neues.

Aber für mich ist es gerade das schönste auf der Welt mich wieder wie der „Alte“ zu fühlen.

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