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Selbstmord

Sex & Drugs & Rock ’n Roll

Musik spielt in meinem Leben eine große Rolle. Ich bin 1981 geboren, nach einer kurzen Orientierungsphase war ich sehr schnell bei der Rockmusik gelandet, die ich in der Vielfältigkeit seiner Facetten bis heute liebe. Und mit der Begeisterung für die Musik stieg auch das Interesse an den Musikern selbst. In der Rockmusik sind die handelnden Künstler zum großen Teil Männer. Und ich gehörte zu den Jungs, die sich durchaus vorstellen konnten, als Rockstar sein Geld zu verdienen (Das hat aus unterschiedlichen Gründen nicht geklappt). Selbst in der Lage zu sein, geile Musik zu machen, schwitzend mit der E-Gitarre vor Tausenden jubelnden Fans aufzutreten, die deine Lieder singen. Ständig auf Tour sein, mit den besten Freunden die Welt bereisen, was für ein Abenteuer. Eine ständige Party. Sex & Drugs & Rock ‘n Roll… Doch natürlich gibt es neben diesen romantischen Bildern vom Rock ‘n Roll auch eine andere Seite. Schnell habe ich auch gemerkt wie viele scheinbare Widersprüche in der Musik und der Szene zu finden waren. Mit dem Grunge und dem Nu Metal, der in meiner Jugend in den 90er Jahren die Szene prägte, wurde dies für mich besonders deutlich.

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Gerade der Grunge, der irgendwie so viel „kaputtes“ zeigte, machte auf mich und meine Freunde mächtig Eindruck und sprach uns irgendwie aus der Seele. Die Jungs machten „aggressive“ Musik, die voller Energie war und zeigten doch, dass irgendwie was anderes als Wut dahinter zu stecken schien. Ich glaube, es war auch diese Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit, die mich als jungen Mann begeistert hatte. Vielleicht, weil ein Teil von mir sich auch so fühlte.
Am 5. April 1994 erschoss sich Kurt Cobain, der Sänger von Nirvana, einer Band, die mit dem Grunge eine neue Musikrichtung geprägt hatte. Ich war damals 13 und ein Klassenkamerad erzählte mir, dass seine ältere Schwester, die damals 15 oder 16 war nun auch davon sprach sich umzubringen (hat sie nicht gemacht). “It’s better to burn out, than to fade away” zitierte Cobain damals in einem Abschiedsbrief eine Liedzeile von Neil Young.
Ich verstand es nicht. Diese Männer hatten doch alles erreicht. Tausende Menschen jubeln Ihnen zu. Geld ohne Ende, die Mädchen schwärmten für diese Jungs und wir Jungs wollten sein wie sie. Und dann ist da doch diese zerstörerische, tödliche Seite.
Ich glaube es ist etwas sehr wertvolles, wenn man es schafft über Kunst seinem Innenleben Ausdruck zu verleihen. Und vielleicht noch wertvoller, wenn wir andere damit berühren. Wenn es aber der einzige Ausdruck für unsere Gefühle und das ist was uns bewegt, scheint Kunst allein doch nicht immer ausreichend zu sein.
Wie schon erwähnt, hat es mit dem Rockstar werden bei mir nicht geklappt, aber ich kenne, wie sicher viele Männer die Zweifel und Sorgen, für die es keinen Ausdruck und keine Sprache zu geben scheint und die das Leben manchmal unerträglich scheinen lassen. Glücklich sind die, die auch außerhalb ihrer Kunst die Worte finden, für das was sie innerlich bewegt und manchmal zu zerreißen scheint. Und noch glücklicher sind die, die Menschen um sich haben, die es aufrichtig interessiert, zu verstehen was andere bewegt.
Und selbst die Stars, die es scheinbar geschafft haben, ihr Rockstardasein mit dem „echten Leben“ in Einklang zu bringen, führen dann doch über viele Jahre einen stillen Kamp mit sich selbst. Im Mai 2017 hat sich Chris Cornell mit 52 Jahren umgebracht. Ich hatte mir gerade ein altes Album von ihm gekauft und sein Konzertmitschnitt Unplugged in Sweden lief bei mir rauf und runter. Und dann war da noch Nothing compares to you, was er mit seiner unwiderstehlichen Stimme auf wunderbare Art und Weise interpretierte.

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Wenn ich mir dieses Video heute anschaue steigen mir die Tränen in die Augen und ich kriege Gänsehaut. Ich sehe nicht mehr den Rockstar, sondern einen Mann, der vielleicht nur die Musik hatte, um seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen und verzweifelt versucht über die Musik seine Gefühle auszudrücken.
Für mich war Cornell ein Mann, der es geschafft hatte, mich mit seiner Musik und Stimme zu bewegen und die Leidenschaft, die er in seiner Kunst transportiert erlebbar macht. Und ich habe ihn seit 20 Jahren begleitet. Soundgarden und Audioslave, sein letztes Soloalbum 2015 Higher Truth. Es war schön zu wissen, dass er mit seiner Musik da war. Und dann hat er sich plötzlich umgebracht.
Kurze Zeit nach Cornell hat auch Linkin Park Sänger Chester Bennington sein Leben beendet. Für mich ebenfalls ein beeindruckender Musiker. Ich weiß noch wie Hybrid Theorie mir unter die Haut ging. So wunderbar aggressiv und dann immer wieder diese leidenschaftliche Stimme von Bennington.

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Für mich beides Männer, von denen ich dachte, dass sie die „Turbulenzen“ des Rockstardaseins und des Erfolges irgendwie gemeistert hätten und gleichzeitig einen Weg gefunden ihren Gefühlen über ihre Kunst und Musik Ausdruck zu verleihen. Ein Irrtum.
Wir sprechen davon, dass sich jemand das Leben nimmt. Aber wer sich umbringt nimmt nicht nur SICH das Leben, sondern nimmt es auch denen, die uns lieben. Oder eben unsere Kunst lieben.
Sex & Drugs & Rock ’n Roll. Höhen und Tiefen. Der öffentliche Druck, die schwindende Privatsphäre mit wachsendem Erfolg, die Frage, wer noch ein „echter“ Freund ist und wer sich im Erfolg sonnen möchte, Drogen- und Alkoholeskapaden. All dies gehört wohl genauso zum Rockstar sein wie Geld und schöne Mädchen.
Chester Benninngton tötete sich am 20. Juli 2017. Es wäre Chris Cornells 53. Geburtstag gewesen. Die beiden waren befreundet. Ich bin sicher Chester hat an diesem Tag an Chris gedacht. Und vielleicht auch gedacht, dass Chris „es geschafft“ hat, einen Ausweg aus der Zerrissenheit und Verzweiflung zu finden. Ich glaube das allerdings nicht. Der Tod ist immer nur ein Ende.
Die Zusammenhänge zwischen Berühmtheit, Kunst, Erfolg, Mann-sein und der Frage, was wir zu einem glücklichen Leben brauchen sind komplex. Rockstar sein allein reicht sicher nicht zum glücklich sein. Und vielleicht ist es zum Teil auch das was Männer wie Kurt Cobain, Chris Cornell und Chester Bennington innerlich zerreißt. Sie haben (scheinbar) alles erreicht und lebten den Traum, den Rüdiger und viele andere Jungs nur träumen. Sie waren Rockstars und werden von vielen bewundert und verehrt. Das macht vielleicht einsam und vielleicht wurden sie auch belächelt, wenn sie sagten, dass sie einsam, traurig, verzweifelt, überfordert oder ängstlich seien… „Hey, du bist doch Rockstar… Du kannst Dich doch wirklich nicht beschweren.“ Aber wahrscheinlich wurden sie nie belächelt, weil sie nie gelernt haben jemandem zu zeigen, was sie wirklich empfinden.

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